2004  schreib!mal  

Die graue Maus Klaus

Jochen Schneider

Klaus schaute aus seinem Mäuseloch und seufzte. Es regnete. Sein Herz war schwer. Am liebsten hätte er es ausgebaut und bei Seite gelegt. Aber das ging natürlich nicht. Und selbst wenn, sein Problem war damit sicherlich auch nicht gelöst. Was er bräuchte, wäre eine Maschine, die die Zeit anhielte, damit dieser schreckliche Tag niemals beginnen müsste.

Dann traf ihn ein großer Regentropfen. Der spülte diesen Traum und damit alle Hoffnung davon. „Dieser Tag wird kommen, ob ich will oder nicht“, piepste der Mäuserich bedrückt. Es war der Tag des Mäusespiels zwischen den schwarzen und den weißen Mäusen, den Klaus so fürchtete.

Seit je her spielen diese beiden Mäusevölker das Mäusespiel einmal im Jahr. Ihre Väter spielten es schon,  und auch ihre Großväter und Urgroßväter. Es würde schon seit 2000 Jahren gespielt, behaupten einige. Früher war es ein fairer Wettstreit, eine freundschaftliche Begegnung, bei der mal der eine gewann, mal der andere.

Eines Tages aber, wie so oft schon in der Geschichte geschehen, verwandelte sich die tiefe Freundschaft zwischen den beiden Mäusevölkern in gegenseitigen Hass. Wann und warum das passiert ist, weiß niemand.

Nun gibt es neben den kampfesdurstigen Schwarzen und Weißen auch noch die grauen Mäuse. Klaus ist einer von ihnen. Sie sind nur sehr wenige, oft sehr sehr schüchtern, ihnen fehlt einfach eine gehörige Portion Selbstbewusstsein gegenüber den anderen beiden Mäusevölkern. Bei Klaus kommt noch dazu, dass er außerordentlich klein ist, sogar für graue- Maus-Verhältnisse Dieser Minderheit kam, seit eben das Mäusespiel gespielt wird, die Aufgabe des Schietsrichters zu.

Wenn sich nun die schwarzen- und weißen Mäuse blutig bekämpften, waren es nicht selten diese grauen Mäuse, die den Hass und die Wut der beiden Großvölker am eigenen Leibe zu spüren bekamen. Unverletzt ist seit Jahren keine graue Schietsmaus mehr davon gekommen. Im Gegenteil, immer mehr bezahlten es mit dem Leben.

Schließlich waren es noch 3 Tage bis dieses Kriegsspektakel wieder stattfinden sollte. Und schlimmer noch! Dieses Jahr hatte das Los Klaus zur Schietsmaus gemacht. Sein Schicksal war besiegelt, dachten auch seine Freunde und besuchten ihn noch einmal, wünschten ihm viel Glück und verabschiedeten sich dann für die Ewigkeit. Verzweifelt blieb er allein zurück in seinem Mäuseloch. Da wurde ihm kalt und dann wieder sehr warm. Er hatte Angst.

Bis er dann plötzlich auf dem Spielfeld stand und die mächtig groß wirkenden, aggressiven schwarzen und weißen Mäuse sah. Spielregeln musste Klaus gar nicht erst lernen. Er hätte sie sowieso nicht durchsetzen können. Nur anpfeifen musste er das Spiel und sich dann möglichst unauffällig verhalten, rieten ihm noch seine Freunde zuvor. Zwischen den beiden Kampfparteien stehend, wollte er es nun so machen. Nur, so doll er auch versuchte, er brachte einfach keinen Ton heraus. Er fühlte das drohende Unheil schon kommen. Die Mäuse rückten näher und näher.

Jetzt erst klappte es. Wie ein Erleichterungsschlag pfiff es aus ihm raus und die wilde Meute stürmte los. Er sah zu, wie er schnell zur Seite kam. Dann stand er eine Weile am Rand und wartete auf den Moment, in dem er dran sein würde, wenn die Schlacht keinen Erfolg mehr brächte und die Wut an ihm ausgelassen würde. Als er da so stand, beobachtete er die Chefs der Mäuseteams. Sie standen auch am Rand, auf einer Linie mit ihm und gaben unverständliche Befehle in die Masse.

Wie er so stand, durchfuhr ihn ein eiskalter Windzug. Es fröstelte ihn. Er wünschte sich ein dickeres Fell in mancherlei Hinsicht. Über diesen Gedanken nachdenkend kam ihm die rettende Idee. Dann wachte er auf aus diesem Traum und sagte sich: „So mach‘ ich es.“ Und so machte er es auch.

Es kam so wie es tatsächlich kommen musste, aber kurz bevor der prügelnde Haufen sich auf den Mäuserich Klaus stürzen konnte, schlich er zu den Teamchefs und gab ihnen heimlich, natürlich streng vertraulich einen Rat. „Wenn ihre Mäuserichs gewinnen sollen, dann müssen sie, und bedenken sie dabei, es ist heut‘ sehr kalt, den anderen das Fell abrasieren, damit sie vor Kälte erstarren.“ Und so taten sie es sich, ebenso blutrünstig wie sonst, gegenseitig, um den eigenen Vorteil zu erlangen, bis schließlich keine schwarzen und weißen Mäuse, sondern nur noch einheitlich hellrosa leuchtende übrig waren, die alle zusammen, schrecklich frierend, ohne Fell, den anderen musternd, feststellten, dass sie doch eigentlich, ob nun schwarz, weiß oder grau, alle…, alle nur Mäuse waren.

 Kontakt: Jochen.Schneider@gmx.li